EIN PORTRAIT DER KüNSTLERIN SYLVIA VIOLETTA WELLER

Von Birgit Freudemann

Wenige Fahrminuten von Darmstadt entfernt Richtung Odenwald biege ich in das Modautal ein. Mein Zielort ist Ernsthofen, Reutersbergweg 4, das neue Domizil der Darmstädter Künstlerin. Bald schon soll dort ein großes Schild vor dem Haus verkünden: "Hier entsteht demnächst unser Zentrum für Kunst und Kommunikation. Malerei, Literatur und Musik. Synismus ® Bilderwirkstatt® von Sylvia Violetta Weller und Gerhard Kotzor-Mathes."

Die Freude ist groß, uns nach fast zwei Jahren wieder zu sehen und über ihre künstlerische Entwicklung sprechen zu können. Ihr Kunstevent, an dem ich damals teilnahm, ist mir noch in eindrucksvoller Erinnerung, hat er mich doch wieder an die Malerei herangeführt, die ich persönlich seit meiner Kindheit gelassen und in späteren Jahren quasi nur noch über die Schultern meines malenden Mannes weiterverfolgt hatte.

Sylvia Wellers künstlerisches Werk ist Ausdruck einer Synthese des Schaffens ihrer Herkunftsfamilie: Ihre Mutter ist Tänzerin, der Vater Schauspieler, Schriftsteller und Fernsehautor, ihre Schwester ist Chansonnette, Schauspielerin und Regisseurin.

Ihre Kunst steht auf drei Beinen: Der Ausgangspunkt ist ihre eigene Malerei, mit Acryl und Aquarell auf Leinwand und Papier, mit der sie sich bereits seit ihrer Kindheit beschäftigte. Klangbilder und Elementebilder stehen derzeit im Zentrum dieser Malerei. Zum anderen ist es die Arbeit als künstlerischer Coach und Kunsttherapeutin im Atelier, mit der sie anderen dazu verhilft, die eigene Kreativität zu entdecken. Und schließlich ist es die Zusammenarbeit mit ihrem Partner, dem Mathematiker und Schriftsteller Gerhard Kotzor-Mathes, die einen Schwerpunkt bildet. Mit ihm tritt sie in Bühnen-Performances im Rahmen ihres Synismus-Konzeptes an die Öffentlichkeit.

Sylvia Weller ist eine vielfältig wirkende und vielseitig formende Künstlerin, für die der ganzheitliche Aspekt der Menschen, die ihr begegnen, ganz wesentlich ist. Sie strahlt Ruhe und Gelassenheit aus, zeigt sehr viel Sensibilität und Einfühlungsvermögen und ist bei all dem ein leidenschaftlich künstlerisch denkender und handelnder Mensch. Die Kunst vom Experten-Podest zu heben und zu einer allgemein menschlichen Ausdrucksweise zu erklären, die jedem Menschen zusteht und ansteht und jedem möglich sein soll, der es versucht, ist ihr in ihrem gesamten Kunstschaffen ein absolut wichtiges Anliegen: "Jeder Mensch hat eine Seele, und wahrhaftige Kunst kommt meiner Meinung nach aus der Seele."

"Ein Regenbogen kann singen"

Aus der Zusammenarbeit mit dem Musiker und Komponisten Holger Mantei, bei dem Sylvia Weller Saxophon lernte, und der Idee, dass Musik mit bildnerischen Mitteln darstellbar ist, entwickelte sie ihre Klangbilder. Jeder Ton ist eine Schwingung, ebenso wie das Licht. So ist physikalisch feststellbar, dass der Kammerton a (440 Hertz) mehrfach oktaviert die gleiche Schwingungsfrequenz hat wie der gelb/orange Farbton. Der Ton c hat die Schwingungsfrequenz der Farbe Grün, der Ton d der Farbe Blau. "Ein Regenbogen kann singen", sagt Sylvia Weller.

Umgekehrt lassen sich auch Bilder in Musik ausdrücken. So hat Holger Mantei die zwölf Farben des Farbkreises von Sylvia Weller in Klavierkompositionen zum Ausdruck gebracht (CD: Colours). Aus dieser symbiotischen Zusammenarbeit mit einem Komponisten erwuchs der Begriff Synismus®, ein Wort, auf das Sylvia Weller ein Patent angemeldet hat. Es vereinigt in sich die Begriffe Synthese, Synergie, Synästhesie und steht für Sylvia Wellers Ziel, verschiedene Richtungen wie Musik, Tanz und Malerei, und wie sich zeigt, in einem dritten Schritt auch die Literatur, harmonisch in Gleichklang zu bringen. Diese von ihr geprägte Kunstform kennzeichnet das wesentliche Zusammenwirken von Farbe, Wort, Ton und Bewegung.

Magie der Farben

Raum zur Ausgestaltung der neuen Kunstform Synismus ist Sylvia Wellers Bilderwirkstatt®, ein Ort mit einem ebenfalls patentierten Begriff. In der Bilderwirkstatt will Sylvia Weller Kunst geschehen lassen. Sie sagt: "Jedes Kind kann malen. Diese Kreativität geht später oft verloren. Sie wird nicht mehr gefühlt." Die Menschen, die mit dem Wunsch ein Bild zu malen, zu ihr ins Atelier kommen, lassen sich von ihr in einem behutsamen Vorgehen - wenn sie sich denn öffnen können - zurückführen zu ihren Fähigkeiten, zur Wiedererweckung ihrer künstlerischen Fähigkeiten. Die Ergebnisse ihrer Arbeit mit Menschen im Atelier bestärken sie in der Ansicht, dass jeder Mensch ein Künstler ist. Sie bietet verschiedenen Gruppen den Besuch ihrer Bilderwirkstatt an. Um es allen leicht zu machen, diesen Schritt zu tun, lädt sie auch ein zum gemeinsamen Malen mit dem Partner, zum Familien-Malen, zum Geburtstagsmalen, zum Malen mit dem Mitarbeiterteam. Sylvia Weller: "Wenn ein Mensch, wie auch immer, den Mut hat, eine weiße Leinwand mit den Farben seiner Wahl zu gestalten und ein Bild aus seinem Gefühl heraus zu entwickeln, findet er möglicherweise auch Zugang und Freude zu Bereichen, die im Laufe des Lebens verschüttet gegangen sind oder nicht mehr erkannt werden!" Die Magie der Farben ist es, der Sylvia Weller eine große Bedeutung beimisst, die sie selbst immer wieder fasziniert. Gerne zitiert sie einen Satz von Hermann Hesse, der wie ihr Motto klingt: "Man darf mit Magie nicht sparen, um die Komödie des Lebens nicht aus Versehen ernst zu nehmen." Die Magie der Farben hatte sie einst auch dazu bewogen, das erste öffentliche Bild zur Schau zu stellen: ein Wandgemälde in einem Kindergarten der saudiarabischen Stadt Riad, wo sie sich zwischen 1980 und 1986 aufhielt. Wenn anlässlich eines Events in ihrer Bilderwirkstatt Bilder gemalt wurden, kann es auch schon mal passieren, dass Sylvia Weller ihr Saxophon in die Hand nimmt und ein Bild frei improvisierend vertont, was sie mitunter auch anlässlich von Ausstellungen tut oder bei der Verlesung eines literarischen Textes.

Kreativität sitzt im Zentrum

Die Künstlerin stellt sich vollkommen zurück, wenn ein Mensch zu ihr kommt, um zu malen. Sie knüpft zunächst ein Band zu diesem Menschen, das es ihr ermöglicht, ihn bei seinem Malvorhaben zu unterstützen, so dass er sich verwirklichen kann, sein Selbstwertgefühl finden kann, indem er die in ihm schlummernde Kreativität weckt. Der Tisch ist für ein Mahl gedeckt, das Auge erfreut sich daran, es wird gemeinsam gegessen. "Das ist wie ein religiöses Prinzip", sagt sie. Vom Bauchgefühl über das Essen und Trinken über das Gespräch als Zuwendung für die Seele, hin zum Geist, der sich im Malvorgang, in der konkreten Arbeit mit dem bildnerischen Material, zum Ausdruck bringt. "Kopfgesteuerte Menschen", sagt Sylvia Weller, "erleben ein Bauchgefühl. Denn die Kreativität sitzt im Zentrum, nicht im Kopf. Wird dies alles geöffnet, öffnen sich auch andere Pforten für andere Gefühle. Die Menschen sind manchmal zutiefst berührt."

Nach Sylvia Wellers Konzept wird Synismus in verschiedenen Formen ausgeübt und angeboten: als Bühnenveranstaltung, als Synissage und in der Bilderwirkstatt.

In der Bühnenperformance passiert es, dass vor einem Publikum ein Gemälde auf Leinwand entsteht. Sylvia Weller, die immer die gesamte Veranstaltung moderiert, malt allein oder zusammen mit einem Prominenten, z. B. im Juni 2003 mit dem für den erkrankten Bürgermeister der Stadt Dreieich eingesprungenen Landrat von Offenbach zu Harfenklängen in der "Bühne im Stall". Während einer Performance, wenn ein Gemälde entsteht, liest ihr Partner Gerhard Kotzor-Mathes aus eigenen literarischen Texten. Musik, etwa Saxophon-Improvisationen begleiten die Texte und auch die Malerei, oder auch Pantomime und Tanz.

Leben ist Kunst für Sylvia Weller. Kunst bedeutet "nicht nur ein Bild malen, sondern das Drumherum gehört dazu, das Aufstehen, das sich Wohlfühlen, die Musik am Morgen." Sie dringt in sie ein, die Energie kommt, manchmal in Form von Tanzbewegungen. Das ist für sie Einstimmung in den Tag. Als sie 35 Jahre alt war, sagte ein Maler und Freund zu ihr: Ihre Lebensphilosophie sei anthroposophisch. Danach hatte sie sich dann zum ersten Mal mit Rudolf Steiner befasst, von dem sie zuvor gar nichts wusste. Jahre später sagte der Coaching-Ausbilder zu ihr: Sie sei ein Freigeist. Sie erinnert sich daran, als sie vier Jahre alt war, dass die Farbe Gold aus ihrem Wasserfarbenkasten für sie ein Braun war und nur dann, wenn die Sonne darauf schien, "hat's geglitzert". Sie bezeichnet sich, auf die damalige Zeit bezogen, als stilles, in sich gekehrtes Kind, das gemalt hat und noch vor der Einschulung bereits lesen konnte. Heute ist sie stolz auf ihre roten Haare. Als Kind habe sie darunter gelitten.

Lebenslust generieren

Sehr wichtig ist Sylvia Weller die künstlerische Arbeit mit älteren Menschen.

Im Seniorenheim Linde in Seeheim-Jugenheim hat sie eine künstlerisch interessierte Gruppe, "Linde kreativ", ins Leben gerufen, die Lust auf das Malen hat. Ein zentrales Thema ist derzeit "Elemente malen", z. B. das Element Erde. Sie wird aufgrund der sehr positiven Resonanz mit den Senioren weiter daran arbeiten. Zu Feuer, Wasser, Erde, Luft gesellen sich weitere Elemente des Lebens hinzu: Liebe, Zeit, Leidenschaft und Energie. Sylvia Weller sieht hier mit ihrem künstlerischen Einwirken unter dem Motto "Kreativ sein bis ins hohe Alter" einen sehr fruchtbaren Ansatzpunkt, Lebenslust zu generieren und vielleicht verschüttet gegangene künstlerische Fähigkeiten neu zu entdecken und fortzuentwickeln.

 

Vita (Kurzversion):

Sylvia V. Weller, geb.1948 in Darmstadt, Mutter von zwei Töchtern, lebte von 1981-86 in Saudi-Arabien, danach im Raum Köln/Troisdorf und seit 2001, als freiberufliche Künstlerin, wieder in Darmstadt, August 2004 Umzug nach Ernsthofen/Modautal

1989-95 Studium Aquarellmalerei bei Christiane Gießler und Karin Schmachtenberg

1996-2000 Ausbildung zur Musikerin: Saxophon, freie Improvisation

2001-2002 Gründung Bilderwirkstatt, Fortbildung zum Coach

2003 Beginn der Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller und Coach Gerhard Kotzor-Mathes im Rahmen der Bilderwirkstatt.

 

aus Info3, Heft Oktober 2004